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Martin Lechner: Larsen
(Auszug)

Oben angelangt blickte Larsen, statt in die Ebene, die sich unter dem weißen Licht des Nachmittags zitternd vor ihm ausstreckte, auf die Soutane. Bei jedem Schritt hatte er eine Beule in den Stoff gestoßen. Jetzt hing er reglos von seinen Schultern herab. Schnell, da er den Anblick nicht länger er­trug, schlug er seinem Esel in die Seite, setzte sich wieder in Bewegung, spürte wieder den Stoff, die Hülle, seine Knie, beruhigte sich wieder, nach fünfzig Schritten blieb er stehen. Fiebrig fühlte er sich, als glühe der Kopf. Der Atem des Esels übertönte die Geräusche der Landschaft. Er ließ den Koffer schaukeln. Vermutlich war eine Bibel darin, ein paar Kreu­ze und so weiter, doch nichts, gar nichts, was helfen konnte, wenn man am Boden lag, das Gesicht ins kühle Gras gedreht, um den Schmerz zu lindern, falls man Schmerzen noch emp­fand, und im Rücken den Raum, in dem die Erde schwebt, den Weltraum, der einmal zusammenschrumpfen wird auf eine stumme, eine alles verschluckende Null.
In wenigen Kilometern Entfernung hob sich aus der Fläche mehrerer sonnenverbrannter Felder ein schmutzigweißes, aus Betonplatten eilig zusammengehämmertes Gebäude hervor, sechs Stockwerke hoch, ein Landarbeiterbau, dessen Flach­dach am hinteren Ende schräg herabgebrochen war in die Wohnungen des fünften Stocks, das Erdgeschoss von Gebü­schen umwuchert, auf der Rückseite ein Baum, dessen Krone sich kegelförmig gen Himmel reckte. Ringsherum, mit san­digen Wegen verbunden, gab es weitere Häuser, sechs Stück an der Zahl, teils mit schwarz ausgebrannten Fenstern, teils mit segelgleich in der Luft sich wölbenden Gardinen.
Er hatte sich auf wenige hundert Meter angenähert, behut­sam von einem Gebäude zum anderen blickend, denn er woll­te niemanden übersehen, der dort womöglich untergetaucht war, denn er wollte selbst dort untertauchen, wollte selbst kurz die Augen schließen, wollte still daliegen, einen ganzen Tag lang oder zwei, still auf dem Boden, still auf der Brust, die Augen in der Armbeuge, als es plötzlich blitzte. Auf dem Dach des höchsten Gebäudes. Einmal nur. Reflexartig hatte er sich hinter den staubigen Körper des Esels geduckt, dick genug, um eine Kugel abzufangen. Hinter sich, im Rücken, der mühselig überwundene Hügel, rechts und links und ge­radezu nichts als das trockene Land. Der Esel senkte den Kopf und scheuerte seine Schnauze über den harten, gelben Boden. Wer immer ihn gesehen hatte, in der Soutane noch dazu, würde sich wundern, warum er, ein Pater, in Deckung gegangen war und sogar immer noch, vielleicht schon eine Minute lang, sich hinter dem Tier verbarg. Anstatt einfach die Arme zu heben und den Menschen zu winken, die ihn, sei es mit einem Fernglas oder einem Zielfernrohr, entdeckt hatten. Er musste besser auf seine Reflexe achtgeben, denn jetzt, so im Nachhinein, aufzustehen und vorüberzulaufen, als hätte er nichts gesehen, das wäre unglaubwürdig.
Also erhob er sich langsam und folgte, eine Hand zum Gruß in die Luft gestreckt, Schritt für Schritt dem Weg, bis vor das Gebäude, bis zum Eingang, eine nur leicht angelehnte, in den Angeln lautlos schaukelnde Tür, hinter der, im Dunkeln, Ölflecken glänzten und der Muff alten Urins, kaum dass er eingetreten war, so scharf in seine Kehle biss, dass er sogleich wieder heraustreten wollte, zurück ins Licht, zurück an die Luft, zu diesem Esel, der mit seinem erschöpften Atem die Stille durchbrach. Da fuhren mit einem Mal die Fahrstuhl­türen, die er auf den ersten Blick keiner Regung mehr für fä­hig gehalten hatte, auf, verschwanden schabend in der Wand. Grünes Licht fiel auf den Boden, erhellte den hereingewehten Sand, alte Einkaufstüten, Papiere, zerschmettertes Gestühl. Er trat in den schmalen Kasten und hob, kaum dass es in die Höhe ging, den Koffer bis über den Kopf und rammte ihn herab auf eine der Haltestangen. Die Schlösser hielten stand, doch die Scharniere auf der Rückseite rissen aus dem Leder. Bis auf zwei Latschen aus Stroh kam nichts zum Vorschein, was er nicht erwartet hätte. Er zerrte sich die Stiefel von den Füßen, quetschte sie neben die Kreuze und verwedelte, wofür die Ärmel der Soutane wie gemacht schienen, den schwefe­ligen Geruch, der von seinen Füßen aufstieg. Dann, in die leichten Latschen geschlüpft und den Koffer gegen die Brust gedrückt, genoss er, mit gesenkten Lidern, die kühle, ihn eng umschließende Kabine, in der endlich die Hitze zu verdamp­fen begann, die sich seit dem frühsten Morgen in seinen Kopf gebrannt und seine Sicht gelegentlich hatte flimmern lassen.
Mit einem Ruck endete die Fahrt, sechster Stock, die Tü­ren fuhren auf. Der Mann, der drei oder vier Schritte tief im Flur stand, trug einen Bademantel, hellblauer Stoff, und betrachtete stumm, wie Larsen schwungvoll hinaustrat und dann, während sich hinter ihm die Türen wieder verschlos­sen, behutsam, dass nichts herausfiele, den Koffer auf den Boden setzte. Endlich aufgerichtet, überkreuzte er die Arme auf der Brust und verneigte sich.
„Hier entlang, Pater“, sagte der andere und begann den schwach erhellten Gang hinabzuschlendern.
„Selbstverständlich“, Larsen klemmte sich den Koffer wie­der unter einen Arm, bemerkte noch, dass der Treppenab­gang mit Brettern verbarrikadiert und die darin eingelassene Luke mit einem Hängeschloss versperrt war, dann eilte er dem Mann hinterher.
„Meine Schwester“, begann dieser, als Larsen aufgeschlos­sen hatte.
„Was ist mit Ihrer Schwester?“
„Sie erkennt mich nicht mehr“, sagte der Bruder und wich einem Riss im Boden aus.
„Das ist schrecklich.“
„Außerdem, fürchte ich, liegt sie im Sterben.“
Larsen griff sich an den Hals.
„Ich werde tun“, sagte er dann, bemüht, seine Stimme so tief herabzusenken wie er konnte, „was in der Macht steht.“
„In wessen Macht?“, fragte der Bruder, ein Ohr über die Schulter gedreht.
„In der Macht des Herrn natürlich“, erwiderte Larsen schnell, erschrocken, dass er bloß auf seine Stimme achtgege­ben hatte, nicht aber darauf, was er sagte. Der Bruder schien mit der Erklärung zufrieden und klopfte im Vorübergehen an die locker angelehnten Türen eines bis unter die Decke rei­chenden, ausladend breiten, schwarzen Schranks. Was darin war, ließ sich auf die Schnelle nicht erkennen. Vom Ende des Gangs her strahlte ihnen durch den Schlitz einer halb geöff­neten Tür, die in ein Arbeitszimmer führte oder in ein Büro, das Tageslicht entgegen.
„Ich bin froh, dass Sie zu uns gekommen sind“, sagte der Bruder und sah ihn an mit seinen grauen blauen Augen, „wir sind ja hier draußen ganz allein.“
Larsen senkte den Blick auf seine rechte, gekrümmt herab­hängende Hand.
„Wir sind nie ganz allein“, entgegnete er, froh über den so tröstlich klingenden Satz. Lächelnd wandte sich der Bruder einem weiteren Zimmer zu, entriegelte das Schloss und stieß mit dem Fuß gegen die Tür, die lautlos aufschwang in einen breiten, wenn auch flachen, zimmerartigen Saal. In der Mitte, knapp verfehlt vom Licht des einzigen nicht mit Zeitungen verklebten Fensters, stand ein Gitterbett. Vor dem Fenster ragten die stengelförmigen Blätter des bereits aus der Ferne bemerkten, riesenhaften Baumes steif auf.